Nach dem Hochwasser: Wie es in rheinischen Gemeinden aussieht

  • 14.9.2021
  • Andreas Attinger, Aaron Clamann, Jens Peter Iven
  • Jens Peter Iven
  • Marcel Kuß

„Das Wasser sitzt noch immer in den Wänden, und es steckt – bildlich gesprochen – den Menschen in den Überschwemmungsgebieten noch in den Knochen“, sagt Präses Dr. Thorsten Latzel. Mitte September, acht Wochen nach dem verheerenden Unwetter vom 14. und 15. Juli, ist er wieder durch das Kirchengebiet gereist. Ein Überblick über drei Tage und die aktuelle Lage an Kyll, Erft, Inde, Ahr und Wupper. Zu Gast in Kirchengemeinden in:

> Trier-Ehrang
> Adenau
> Bad Neuenahr-Ahrweiler
> Sinzig
> Erftstadt
> Inden-Langerwehe
> Eschweiler
> Bad Münstereifel
> Wuppertal-Beyenburg
> Solingen-Unterburg
> Reiseeindrücke im Video

 

Trier-Ehrang: Drinnen wohnt die Not

„In den Straßen sieht es fast schon wieder aufgeräumt aus“, sagt Pfarrerin Vanessa Kluge beim Besuch von Präses Latzel in ihrer Gemeinde in Trier-Ehrang: „Draußen mag das stimmen, aber drinnen wohnt die Not.“ Das kleine Flüsschen Kyll hat im Juli für die Überschwemmung gesorgt. 70 bis 80 Zentimeter beträgt der Wasserstand normalerweise. Daraus wurden durch den Starkregen katastrophale acht Meter.

Im vom Wasser nahezu eingeschlossenen Stadtteil hat die Kirchengemeinde – ökumenisch gut vernetzt – sofort mit der Hilfe begonnen. Davon erzählen die beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitenden bei der Begegnung mit dem Gast aus Düsseldorf im Gemeindesaal. Sie zeigen Bilder von der Überflutung. Ein Luftbild des überschwemmten Ortes beeindruckt Latzel tief: „Ich bekomme eine Ahnung, wie schlimm es war.“ Wie schlimm es war, berichten Einzelne an konkreten Beispielen. Presbyterin Simone Ziegler erzählt von den Lebensmitteln und Hilfsgütern, die sie organisiert und verteilt hat. (>>Video) Der pensionierte Organist der katholischen Partnergemeinde St. Peter hat auf einem Tisch die Notenbücher und Partituren ausgebreitet, die er aus seinem überfluteten Keller gerettet und getrocknet hat – wellige Zeugen, die die Flutkatastrophe fühlen und riechen lassen. Die Männer und Frauen erzählen vom Heizöl, das mit dem Wasser in Boden und Wände gezogen ist und stinkt. Sie berichten von den Plünderungen, die es gegeben hat, während das Ehranger Krankenhaus evakuiert wurde.

Die Ehranger berichten auch von den aktuellen Sorgen: Wie wird es ab Herbst mit dem Heizen? Wie kann zielgerichtet den sozial besonders bedürftigen Menschen geholfen werden? Wie wird sich der Ort durch die Katastrophe verändern? Einen zentralen Platz will die Gemeinde auch im Verbund mit anderen im Stadtteil schaffen, an dem sich die Menschen treffen und reden können. Thorsten Latzel hört zu, berichtet, dass man dafür auch Projektmittel über die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe bekommen kann. Was er mitnimmt von seinem Besuch in Trier-Ehrang? Ganz sicher auch den Satz: „Seelsorge ist das, was am meisten gebraucht wird.“ An entsprechender Hilfe arbeiten Landeskirche und Diakonie gerade. So sollen Seelsorge- und Beratungsteams in verschiedenen Regionen eingesetzt werden, um genau an diesen Stellen für die Menschen da zu sein. Und der Präses nimmt aus der morgendlichen Andacht von Pfarrerin Kluge ganz viele „selige Momente“ mit – Momente des Glücks, der Hoffnung und des Humors, die es in der Katastrophe auch gab und immer wieder gibt. (>>Video )

Aus den Fluten gerettete Noten sind wellige Zeugen der Katastrophe.

Adenau: Ehrenamtliche brauchen Grundausrüstung für Seelsorge

127 Dörfer und Ortschaften gehören zum Gebiet der Kirchengemeinde Adenau . Schuld zum Beispiel, aber auch Ahrbrück und Altenburg – Orte, die schwer von den Überschwemmungen getroffen wurden. Die Fahrt durch Altenburg etwa gleicht einer Tour durch ein Kriegsgebiet: Natur und Kultur, Straßen, Wege, Häuser – zerstört, fortgerissen. Eine Behelfsbrücke führt inzwischen über die Ahr. Von Normalität sind die Menschen hier weit, weil entfernt. Das ist unübersehbar.

Presbyterin Andrea Thon-Stein sieht auch manches, was nicht auf den ersten Blick ins Auge fällt: „Wenn es richtig anfängt zu regnen, fangen einige Kinder sofort an zu weinen“, stellt die Leiterin zweier Grundschulen in der Region fest. Sind sie in ihrem gewohnten Umfeld, gehe es den Kindern eigentlich ganz gut. Die Schrecken der Flutnacht sitzen tief. Ganz sicher tragen nicht nur Kinder traumatische Erlebnisse mit sich herum. Die Menschen in der Gegend wollen reden, immer wieder, auch mit Leuten aus der Kirchengemeinde: beim zufälligen Treffen auf der Straße oder beim Bäcker. Seelsorge en passant. Dafür, so sagt Pfarrer Thorsten Hertel, brauche es einen Anlaufpunkt, an dem zuverlässig jemand anzutreffen ist. Und für die, die zuhören und beistehen möchten, brauche es eine Schulung in Grundkenntnissen der Seelsorge, ergänzt seine Kollegin Claudia Rössling-Marenbach . Gerade für die ehrenamtlich Mitarbeitenden. Auch ein Anliegen, das der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland von seinem Besuch mitnimmt: „Da müsste etwas zu machen sein“, sagt Thorsten Latzel. Sein Dank für das große Engagement gilt den ehrenamtlich und beruflich in der Kirchengemeinde engagierten Menschen.

 

Bad Neuenahr: Heizung auch fürs Gemeindehaus nötig

Heizungen müssen her! Was viele Menschen in der einst beschaulichen und jetzt verwüsteten Kurstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler brauchen, ist auch für die Kirchengemeinde Bad Neuenahr ganz wichtig: „Wir benötigen eine Heizung für das Gemeindehaus und die Friedenskirche“, gibt Pfarrerin Elke Smidt-Kulla Präses Dr. Latzel mit auf den Weg. Gäbe es eine Heizung, könnte in den beiden Gebäuden wieder Gemeindearbeit stattfinden – ein Stück Normalität für die Menschen, deren „Normalität“ ansonsten aus unbewohnbaren Häuser, verwüsteten Straßen, weggerissenen Brücken und fehlender Gasversorgung besteht.

Ums Heizen geht es auch auf der anderen Seite der Ahr, die man über eine Pontonbrücke des Technischen Hilfswerks erreicht. Dort befindet sich eine Anlaufstation für Helfende und Betroffene: die AHRche. Am zweiten Tag nach der Flut hat Lucas Bornschlegl dort inmitten von Trümmern eine Hilfsstation errichtet. Mit einem Lichtmast, einer Stromquelle zum Laden von Handys, einer Dusch- und Waschmöglichkeit sowie einer kleinen Verpflegungsstation hat es angefangen. Mittlerweile ist AHRche ein eingetragener Verein für Katastrophenhilfe und Wiederaufbau. Das Camp ist gewachsen: Bornschlegl zeigt dem Präses die Verleihstation, die die Menschen mit gespendeten Fahrrädern mobil macht. In einem großen Zelt kann man drei Mahlzeiten am Tag bekommen, es gibt therapeutische Angebote, einen Waschsalon und auch einen Friseur. Weiteres soll dazukommen. So etwa ein Container, in dem Seelsorge und psychosoziale Beratung geschehen könnten. Die Kirchengemeinde würde gerne mitmachen. Kann es dafür Unterstützung geben? Die Frage kommt auf Latzels Liste.

Aber zurück zum Heizen. Bornschlegl hat ein Wärmeprojekt gestartet. Ein-Raum-Heizung für 0 Euro. Das funktioniert mit Luft-Luft-Wärmepumpen, die mehr Kilowatt an Wärme abgeben als sie an Strom verbrauchen. Mit dem Einbau bei Menschen, die sich das nicht leisten können, haben die Handwerker schon begonnen – für die Betroffenen ohne Kosten. Das geht, weil es private Spenden gibt. Der AHRche-Macher möchte das Projekt ausweiten. Nötig ist es, denn der Gasversorger wird nur einen Teil der Häuser wieder ans Netz bringen können, ehe der Winter kommt.

Lucas Bornschlegl (links) erläuterte dem Präses sein Heizungsprojekt, das Wärme in die Wohnungen bringen soll.

Zurück auf die andere Seite der Ahr. In der eigentlich malerischen Einkaufsstraße, die am Ahrtor beginnt, sitzt Arnd Kulla in seinem Laden „Schmuck am Ahrtor“. Vor 14 Jahren hat der Mann der Ortspfarrerin das Geschäft aufgebaut. Jetzt ist der Putz von den Wänden geschlagen, der Estrich entsorgt. Zwei Klappstühle stehen in dem Ladenlokal, auf denen der Geschäftsmann und der Präses sitzen und reden. Das Haus hat er vor Jahren kaufen können, sagt Kulla. Jetzt ist es hin. „Wir wissen nicht, wie es überhaupt weitergeht. Wir wissen ja auch nicht, wie es mit der Stadt selbst weitergeht.“ Wann wieder Reha-Patienten und Wein-Touristen kommen können, ist völlig unklar. Wenige Meter weiter hoffen die Macherinnen und Macher von :Kerit , dem Sozialprojekt der evangelischen Kirchengemeinde, dass sie ihren Second-Hand-Laden bald wieder öffnen können. :Kerit macht Angebote für Alleinstehende, Einsame, Obdachlose. Erst am 1. Juni hatten sie den Laden mit Kleidung, Kinderspielzeug und Haushaltswaren eröffnet: gute Lage in der Ahrhutstraße, viel Kundschaft – und dann Wasser bis auf 1,80 Meter Höhe und nun schwarzer Schimmel. Der Vermieter will alles wieder herrichten. Aber wann es weitergeht? Das ist offen. So offen wie viele Fenster und Türen der schwer beschädigten Häuser der Altstadt.

Bilder von Verwüstung und Wiederherrichtung nimmt Thorsten Latzel auch vom Friedhof am Ahrtor mit. Wochenlang hat die Bundeswehr daran gearbeitet, die verwüsteten Gräberfelder vom Geröll und Schlamm zu befreien und Gräber und Grabsteine möglichst wieder dorthin zu schaffen, wo sie vor der Flutnacht waren. Abends können die Angehörigen der hier Bestatteten mit seelsorglicher Begleitung auf den Friedhof – seit dem ersten Tag nach der Flut sind viele gekommen. Der Friedhof ist ein wichtiger Ort für die Lebenden. Davon erzählt Pfarrerin Smid-Kulla dem sichtlich beeindruckten Präses beim Gang über das Areal. (>>Video )

 

Sinzig: 120 Haushalte mit Soforthilfe versorgt

Abends ist Dr. Latzel in Sinzig zu Gast. Das Gemeindehaus hat durch die Flut keinen Schaden genommen. Doch das Wohnheim für Menschen mit Behinderungen, in dem zwölf Bewohnerinnen und Bewohner in der Flutnacht ertrunken sind, ist nur einen Steinwurf entfernt. „Sinzig ist eine geteilte Stadt“, erklärt Pfarrerin Kerstin Laubmann-Lüdke: „Manche Straßenzüge sind immer noch braun vom Schlamm. An anderen Stellen ist nichts passiert.“

120 Menschen hat die evangelische Gemeinde Remagen-Sinzig mit Geld versorgt, um in den Tagen nach der Überschwemmung das Nötigste kaufen zu können, berichtet Pfarrerin Johanna Kuhn dem Gast aus Düsseldorf. Geld, das die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe den Gemeinden als Soforthilfe zur Verfügung gestellt hat. Aber: „Die Menschen realisieren jetzt erst, was sie verloren haben.“ Welche Hilfe es wo gibt, müsse für die Menschen klarer werden, gibt sie dem Präses mit auf den Weg: „Ich habe den Eindruck, es ist eine sehr unübersichtliche Hilfe-Landkarte.“ Und Seelsorge bleibt ebenso gefragt wie eine Heizung für den Winter. So denkt die Gemeinde darüber nach, ein Gesprächscafé einzurichten für den Austausch und warme Getränke.

Auch an diesem Abend wird es ein intensives Gespräch- über die Sehnsucht nach Normalität. So wünschten sich die Menschen, dass die Flut in den Gottesdiensten zwar anklingen, aber nicht bestimmend sein soll. Es geht um ältere Leute ohne Kinder, die es besonders schwer haben, weil sich niemand so recht kümmere. „Manche Menschen, die allein in ihren Häusern sind, werden inzwischen gar nicht mehr wahrgenommen“, ergänzt Baukirchmeister Ingo Schäuble. Es geht um den Redebedarf von Kindern und Jugendlichen und darum, dass man sie nicht über ihre Traumata definieren soll, sondern über ihre Ressourcen. Und um Humor in der Katastrophe geht es auch. Den hat Jakob in der Flutnacht bewiesen, als sich die Familie vor den Wassern in die erste Etage des Hauses geflüchtet hatte und sein Vater in großer Sorge um das Leben seiner drei Kinder war: „Ist deine erste Flut, oder, Papa …“

Am Ende bleiben Heizung, Seelsorge, Normalität. Diese drei. Doch was in den kommenden Monaten das Wichtigste sein wird, mag niemand recht abschätzen. Wie auch? Wichtig sind sie für die Menschen in der Not wohl gleichermaßen. Eine Botschaft, die Präses Latzel mitnimmt und die ihm auch in den folgenden Tagen immer wieder begegnet.

 

Erftstadt: Hilfe muss einfacher werden und doch transparent bleiben

Auch Erftstadt hat es schwer erwischt. Der Gast aus Düsseldorf und seine Gastgeberinnen aus der Kirchengemeinde Lechenich und der Friedenskirchengemeinde in Erftstadt schauen sich nicht weit von der Abbruchkante in Blessem um. „Das Haus dort drüben“, sagt Pfarrerin Friederike Schädlich und weist auf die andere Straßenseite, „das sieht von außen schon wieder ganz gut aus. Aber drinnen … Das sieht man eben nicht.“ Im Hubschrauber, in Booten und Baggerschaufeln sind viele alte Leute vor den Wassermassen in Sicherheit gebracht worden. Tagelang haben Wasser und Heizöl in den Häusern gestanden. Dort sind viele Zukunftsfragen offen.

Fragen, die sich auch ein 80-jähriger Anwohner stellt. Er bittet den Präses spontan in sein Haus, klettert mit ihm aufs Garagendach und schaut auf das Feld nebenan, oder besser: auf das riesige Loch an der Stelle, wo bis zum 15. Juli das Feld war, über das der Mann sein Leben lang gegangen ist. Seine Tauben hat er verloren. Sie finden nicht zurück. Und auch eine Perspektive findet er nicht mehr: Wie und wo soll er denn mit 80 Jahren noch einmal anfangen? Segens- und Kraftwünsche gibt ihm Latzel mit auf den Weg.

Im katholischen Gemeindezentrum St. Michael stapeln sich die Sachspenden. Vor dem Komplex haben die Johanniter einen Info-Punkt und eine Versorgungsstation für die Menschen aus dem Stadtteil aufgebaut. Die ökumenische Zusammenarbeit klappt gut. Brigitte Bartmann ist katholische Gemeindereferentin. Sie wünscht sich eine Vernetzung von Diakonie und Caritas, um besser helfen zu können, denn: „Den Leuten ist es am Ende egal, woher die Hilfe kommt.“ Der Präses stimmt zu: „Das Leid kennt keine Konfession.“ Die Hilfe müsse einfacher werden, sagt Pfarrerin Andrea Döhrer aus Liblar. Die Regelungen für Hilfen der Diakonie seien zu kompliziert. Es müsse so vieles überprüft werden, was sie bei den Betroffenen gar nicht kontrollieren könne. Kirche und Diakonie müssten sorgsam und transparent mit den Spendengeldern umgehen, macht Thorsten Latzel deutlich. Das sei man den Spenderinnen und Spendern schuldig. Gleichwohl sichert er zu zu klären, ob manche Anforderungen nicht vereinfacht werden können.

Das Gemeindehaus St. Michaal ist Sammelstelle für Sachspenden.

Es brauche eine verlässliche Station, wo die Diakonie den Menschen zum Beispiel beim Ausfüllen von Anträgen helfe, so Pfarrerin Döhrer. Das ist in Arbeit, versichert der Präses. Und auch Pfarrerin Sabine Pankoke hat noch ein Anliegen: „Wir brauchen hier Menschen, die wissen, wie man mit Traumata umgeht.“

 

Inden-Langerwehe: Hilfe und Nachbarschaft funktionieren

Ortswechsel in die Kirchengemeinde Inden-Langerwehe : Einen Pegelstand von etwa 80 Zentimeter habe das Flüsschen Inde normalerweise, sagt Stefan Pfennings, Bürgermeister der Gemeinde Inden beim Besuch des Präses im rheinischen Braunkohlerevier. Normalerweise. Am 15. Juli um 11.45 Uhr hatte das sonst so beschauliche Gewässer seinen Höchststand: 4,60 Meter. 1200 Menschen in 350 Haushalten waren und sind von der Katastrophe betroffen. 50 Menschen sind auch acht Wochen nach dem Unwetter in Notquartieren untergebracht. Ein Arbeiter im Tagebau kam ums Leben, als die Wassermassen schließlich das riesige Loch fluteten.

Bürgermeister Stefan Pfennings zeigt auf einer Karte wie stark der Ort am Rand des Braunkohletagebaus überflutet wurde.

Es sind die Betroffenen, die mit ihren Erzählungen an diesem Morgen den Gast aus Düsseldorf an den schrecklichen Ereignissen teilhaben lassen. So etwa Katja Heck, Leiterin einer Altenpflegeeinrichtung. 42 Menschen, viele dement, einige in palliativer Pflege, mussten nach einer furchtbaren Nacht bei Tagesanbruch mit Booten in Sicherheit gebracht werden. Auch bei Katja Woidt musste es plötzlich schnell gehen: „Als das Wasser durch die Betondecke in den 1. Stock gekommen ist, habe ich meine Kinder geschnappt und bin zu meinen Eltern geflohen.“ Die Flut wirkt nach: Ihr zweieinhalbjähriger Sohn ist tief verunsichert. Wann sie wieder in ihr Haus zurück können, ist unklar: Es sind kaum Handwerker zu bekommen.

Im Garten des Pfarrhauses erzählen die Leute aus der Kirchengemeinde aber auch die anderen Geschichten: von der großartigen Nachbarschaftshilfe, von dem, was sie selbst geleistet haben und was sie immer noch leisten. So hat Andrea Hoffmann von Anfang an Hilfe organisiert. Und noch immer geht sie zu Menschen, die Unterstützung brauchen und hilft ihnen zum Beispiel beim Ausfüllen von Formularen. Damit habe sie auch Pfarrer Daniel Müller-Thór entlasten wollen, denn dessen Pfarrhaus ist wie das benachbarte Gemeindezentrum auch abgesoffen. Der Pfarrer und seine Familie leben zurzeit in einem Wohnwagen im Garten.

Im Gemeindezentrum sind auch Teile des Archivs untergegangen. Baukirchmeisterin Dagmar Leonards und andere haben Akten und Bücher gesäubert und getrocknet. Inzwischen hat Landeskirchenarchivdirektor Dr. Stefan Flesch das beschädigte Archivgut gesichtet und die Indener beraten, was restauriert werden soll. (>>Video )

 

Eschweiler: Von großen Schäden und noch größerer Hilfe

Viele Menschen haben in der Flutnacht und den darauffolgenden Tagen und Wochen geholfen: Die örtliche Feuerwehr, Landwirte aus der Region, Bundeswehrkräfte, auswärtige Feuerwehr und viele Freiwillige. Zwei Menschen bleiben dem Präses von seinem Besuch in der Kirchengemeinde Eschweiler besonders in Erinnerung: Petra Kohnen und Dennis Müller. In der Flutnacht organisierte die Küsterin haufenweise Säcke mit Blumenerde, weil auch die Feuerwehr keine Sandsäcke mehr hatte. Mit den Säcken bremste sie die Wassermassen, die in die Dreieinigkeitskirche mitten in der Stadt flossen, und verhinderte so, dass die Schäden noch größer wurden. Unermüdlich suchte sie in den Tagen nach der Katastrophe via Facebook Wohnungen für Betroffene. Dennis Müller ist Malermeister, der oft für die Kirchengemeinde arbeitet. Mit dem Handy ständig am Ohr organisierte er tagelang alles, was gebraucht wurde: Waschmaschinen, eine ganze Küche, Traktoren, helfende Hände und und und …

Präses Thorsten Latzel im Gespräch mit Küsterin Petra Kohnen.

Was für die Menschen der schwer betroffenen Stadt geleistet wurde, erzählen Pfarrer Thomas Richter und die Leute aus der Gemeinde an diesem Nachmittag im Martin-Luther-Haus. „Ich bin so dankbar zu hören, was alles getan wurde“, sagt Bürgermeisterin Nadine Leonhardt, „vieles habe ich gar nicht mitbekommen, weil es in den Tagen so viel war“. Sie berichtet von der aktuellen Lage in Eschweiler, wo es in den Geschäftsstraßen der Innenstadt keinen Laden mehr gibt, weil die Wassermassen alle zerstört haben. (>>Video ) In drei Wochen sei so viel Müll weggefahren worden wie rechnerisch sonst in 27 Jahren zusammenkomme. In den nächsten Wochen und Monaten wird auch die Kirchengemeinde noch für weiteren Müll und Bauschutt sorgen: Der frisch renovierte Jugendkeller im Martin-Luther-Haus wurde vom Wasser so stark beschädigt, dass nun auch der Boden noch komplett rausgerissen werden muss. Auch die Räume eines viergruppigen Kindergartens in einem Wohnhaus der Gemeinde müssen saniert werden. Auf 1,5 Millionen Euro schätzt Pfarrer Richter die Gebäudeschäden – bis jetzt.

Bad Münstereifel: „Man hört schon viel …“

„Man hört schon viel …“ Gemeindesekretärin Claudia Zwingmann zahlt in der Kirchengemeinde Bad Münstereifel jeden Mittwoch Soforthilfe an Hochwasser-Geschädigte aus. Und die Menschen, die zu ihr kommen, kommen nicht nur wegen des Geldes. Sie wollen reden. Über die Nacht, in der nicht nur die malerische Einkaufsstraße im Herzen der Altstadt zerstört wurde. Über die Nacht, in der Menschen vor den Augen anderer Menschen ertranken und niemand helfen konnte. Die Menschen in der großen Runde am Tisch im Gemeindehaus berichten dem Präses von dem, was sie selbst betrifft: von den Verwüstungen im eigenen Haus, von Wochen ohne Strom und Wasser, von der Heizung, die noch nicht wieder funktioniert, von den Erlebnissen, die ihnen andere erzählen.

Lutz Nelles ist psychologischer Psychotherapeut. Er ist Teil des Netzwerks Psychosoziale Hilfe Bad Münstereifel, das sich aus privater Initiative nach der Katastrophe gegründet hat. 65 Fachleute gehören inzwischen dazu, 250 bis 300 Therapeuten haben über das Netzwerk Akuttermine angeboten, um belasteten Menschen zu helfen. „Mein erstes Gespräch habe ich mit einem Feuerwehrmann geführt, der erfolglos versucht hat, Menschen zu retten“, berichtet Nelles. Auch die anderen im Netzwerk Aktiven hören viele Geschichten. Da brauchen die Hörenden und Helfenden, die inzwischen in katholischer und evangelischer Gemeinde vernetzt sind, selbst Supervision. Die stellt Rüdiger Maschwitz sicher. Der pensionierte Pfarrer ist von der Evangelischen Kirche im Rheinland als sogenannter Makler in die Region geschickt worden, um Kontakt zu den Gemeinden zu halten und Unterstützungsbedarf zu ermitteln. Bei der Supervision kann er direkt selbst helfen.

„Kaffee, Klönen und Kekse“ ist ein Angebot des Netzwerks überschrieben. Wenn freitags Markt im Ort ist, bieten sie dort offene Ohren und Hilfe an. Auch für diejenigen, die eher im Vorübergehen mit Menschen ins Gespräch kommen, brauche es Hilfe und ein gewisses Maß an seelsorglicher Zurüstung. Präses Latzel hat die Bitte ohnehin schon auf dem Zettel und nimmt sie mit nach Düsseldorf. An diesem Abend fließen auch Tränen, Dankbarkeit über enorme Hilfsbereitschaft kommt zur Sprache, Bilder der Katastrophe werden lebendig. Thorsten Latzel betet mit seinen Gastgeberinnen und Gastgebern – wie an allen Orten, die er besucht. Denn mit allem, was bewegt, belastet, zweifeln und hoffen lässt, dürfen und sollen Menschen Gott in den Ohren liegen. Dem Gott, der in der Katastrophe nah bei den Menschen ist. „Christus im Schlamm“, sagt der Präses.

Zum Abschied ein Gruppenbild mit dem Präses.

Wuppertal-Beyenburg: „Bin bei den Flutopfern“

Der letzte Tag der neuerlichen Präses-Reise in die Flutgebiete in der rheinischen Kirche ist der Sonntag. Thorsten Latzel feiert den Gottesdienst in der Kirchengemeinde Beyenburg-Laaken in Wuppertal mit. Pfarrer Kai Berger spricht in dem Familiengottesdienst vom barmherzigen Vater. Von dem Vater aus der Bibelerzählung vom verlorenen Sohn. Von dem Vater, der seinen Sohn nicht aufgibt. Gott an der Seite der Menschen. Davon spricht Präses Latzel auch, als Pfarrer Berger ihn im Gottesdienst interviewt. Latzel spricht von seinen Eindrücken der dreitägigen Tour. Die Kirche liegt wenige hundert Meter vom Beyenburger Stausee entfernt, der in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli überlief und den historischen Ortskern mit vielen bergischen Fachwerkhäusern überflutete.

Auch hier sind die Schäden noch gut zu sehen, als Thorsten Latzel nach dem Gottesdienst mit dem Pfarrer und ein paar Leuten aus der Gemeinde durch den Ort geht. Das Wohnungsgesuch eines Flutopfers hängt am evangelischen Gemeindehaus aus, direkt neben dem Spendenaufruf. Das Geld, das in seiner Gemeinde gesammelt wird, sagt Pfarrer Berger, wird direkt auf das Konto der katholischen Nachbargemeinde überwiesen. Die ist in diesem dörflichen Stadtteil Wuppertals federführend bei der Unterstützung der Betroffenen. Man hilft hier Hand in Hand. Auf dem Rückweg entdeckt der Präses die örtliche Variante seiner tiefen Überzeugung, dass Gott nah bei den von der Katastrophe betroffenen Menschen ist: An einem Wegkreuz, Station der traditionellen Prozession an Christi Himmelfahrt, ist die Figur des gekreuzigten Jesus abmontiert. An seiner Stelle hängt dort ein Schild: „Bin bei den Flutopfern“.

An einem Wegkreuz hängt anstelle des gekreuzigten Christus ein Schild: „Bin bei den Flutopfern“

 

Solingen-Unterburg: Burger Kirche – was jetzt?

Letzte Station ist schließlich die Burger Kirche in Solingen-Unterburg, die zur Kirchengemeinde Wermelskirchen gehört. Großer Bahnhof für den Präses an und in der schmucken kleinen Kirche: Zahlreiche Gemeindeglieder sind gekommen, um mit Thorsten Latzel und Superintendentin Antje Menn Gottesdienst zu feiern. Die Menschen sitzen auf Bierzeltbänken. Gestühl und Boden, die bei der Überflutung zerstört wurden, sind schon herausgerissen. Die Orgel ist demontiert, damit sie nicht weiter Schaden nimmt. An der Kirche hängt ein Plakat, das zu einer Gesprächsrunde im Oktober einlädt: „Burger Kirche – was jetzt?“

Baukirchmeister Peter Siebel (links) berichtet dem Präses von den Schäden.

Wie es hier weitergeht, das ist eine zentrale Frage für die Gemeinde. Baukirchmeister Peter Siebel berichtet dem Präses von den Schäden an der Kirche und in den Räumen der Tagespflege und Wohngemeinschaft der Diakonie. (>>Video ) „Alles wird gut, aber nie mehr wie es war!“ Das steht auf dem improvisierten Altar. Und das gilt wohl auch für die überfluteten Gastronomiebetriebe und Wohnhäuser zu Füßen des Touristenziels Schloss Burg. „Auch unsere Seelen brauchen jetzt Zeit zum Trocknen“, sagt Präses Latzel den Gästen in der Kirche: „Sie sind nicht allein. Wir werden einander auch weiterhin stärken.“ Hoffnung bricht sich musikalisch Bahn, als zum Abschluss gesungen wird: „Großer Gott, wir loben dich …“ Anschließend gibt es Kaffee und Kuchen, draußen im Sonnenschein. Fast ein bisschen wie ein normales Gemeindefest, das die vielen Ausflügler und Wanderer, die an der Kirche vorbeikommen, neidisch beäugen. Vielleicht gibt es schon einen guten Plan für die Zukunft, wenn der Präses das nächste Mal nach Unterburg kommt: Kirche anders als sie war – aber gut.

Reiseeindrücke im Video

Eindrücke von dieser neuerlichen Reise in die Flutgebiete in der Evangelischen Kirche im Rheinland gibt ein Video:

Mehrere Videos, die während der ersten Ortsbesuche von Präses Dr. Thorsten Latzel kurz nach der Überschwemmungskatastrophe entstanden sind, finden sich im Youtube-Kanal der rheinischen Kirche .

 

 Rückblick auf die aktuelle Lage unmittelbar nach der Juli-Flut: In der Nacht zu Donnerstag, 15. Juli, hat es an vielen Orten in der Evangelischen Kirche im Rheinland verheerende Unwetter gegeben. Mehr als 180 Menschen kamen dabei ums Leben. Die Schäden sind gewaltig. Alleine an kirchlichen Gebäuden entstanden Schäden in Höhe von rund 20 Millionen Euro. Hier ein Überblick mit Stand vom 30. Juli.

Kita in Leverkusen-Schlebusch stark getroffen

Die Kindertagesstätte der Evangelischen Kirchengemeinde Leverkusen-Schlebusch ist von der Unwetterkatastrophe stark getroffen worden. Die Kita liegt direkt an der Dhünn, einem Zufluss der Wupper, der auf Leverkusener Stadtgebiet in die Wupper mündet. Aus dem sonst eher beschaulichen Fluss wurde durch die schweren Unwetter und den Dauerregen ein Strom. Die komplette Kita wurde überflutet, der Keller war vollgelaufen und damit auch die Elektrik unbrauchbar geworden. Räume im Erdgeschoss sowie das Außengelände sind mit Schlamm bedeckt gewesen und Spielgeräte im Freien so stark beschädigt worden, dass sie nicht mehr sicher zu nutzen sind. Wie es aus der Gemeinde heißt, sind die Räume zwar vom Schlamm befreit worden, doch die Schäden bleiben.

Notfallseelsorger in der Voreifel im Dauereinsatz

Im Kirchenkreis Bonn ist die Notfallseelsorge seit Tagen im Dauereinsatz. Wie der Alltag der Mitarbeitenden vor Ort aussieht, verdeutlicht ein Bericht mit dem Titel „Wir sind für die Menschen da“ , den der Kirchenkreis Bonn auf seiner Website veröffentlicht hat.  Der Bonner Journalist Peter Müller hat dafür Pfarrer Albrecht Roebke, den evangelischen Notfallseelsorger für Bonn und die Region, einen Tag bei seinem Dienst an den Grenzsituationen des Lebens in der Voreifel begleitet. Der Fokus liegt dabei auch auf der Begleitung der Rettungskräfte, die selbst an ihre Grenzen kommen angesichts von so viel Tod und Leid – und die doch die Hoffnung nicht verlieren wollen und dürfen. Den Bericht lesen Sie hier .

„Christus im Schlamm“ in Schleiden

„Die Menschen im Schleidener Tal sind von dem Unwetter ebenfalls enorm betroffen. Die Situation ist entsetzlich“, berichtet Hans-Joachim Jürgens, Presbyter der Trinitatis-Kirchengemeinde Schleidener Tal. Zwei der drei Kirchen der Gemeinde seien komplett verwüstet worden. Lediglich die Kirche in Hellenthal ist noch nutzbar. „Wir haben mit einer großen Helfergruppe unsere wunderschöne Kirche in Schleiden, an der Olef gelegen, soweit möglich von Schlamm und Verwüstung befreit“, berichtet Jürgens. Neben Fotos von den Aufräumarbeiten schickte der Presbyter unserer Redaktion auch ein Bild eines verschlammten Kruzifixes, den jemand auf einen Tisch vor der Kirche gelegt habe. „Ein anderer wischte spontan den Dreck runter, und so lag der Christus dann da, in all dem Chaos, im Schlamm. ,Christus im Schlamm‘ dachte ich mir und wurde sehr still“, so Jürgens. Dieses Bild habe ihn wegen der Gedanken von Präses Dr. Thorsten Latzel in seinem Theologischen Impuls ,Christus im Schlamm‘ besonders berührt. „Dann griff ich zu meinem Handy, machte das Bild und verlor das Kruzifix aus den Augen. Ich weiß nicht, wo es vorher war, und nicht, wohin es getragen wurde. Aber ich wollte das Foto weitergeben, verbunden mit der tröstenden Botschaft an alle Menschen, die in diesen Tagen so viel ertragen müssen.“

Dieses Foto von einem verschlammten Kruzifix hat uns Hans-Joachim Jürgens, Presbyter der Trinitatis-Kirchengemeinde Schleidener Tal, zugeschickt. (Foto: Hans-Joachim Jürgens)

Bad Neuenahr-Ahrweiler: Aufruf zur Rettung der Martin-Luther-Kirche

Durch das Hochwasser ist die Martin-Luther-Kirche in Bad Neuenahr-Ahrweiler stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Um die Kirche zu retten, bittet der Kirchenkreis Koblenz um tatkräftige Unterstützung. Wer helfen möchte, die Kirche zu retten, kann am Mittwoch, 21. Juli, um 10 Uhr zum Treffpunkt an der Martin-Luther-Kirche, An der Kurgartenbrücke in Bad Neuenahr kommen. Mitzubringen sind demnach: Kleidung für Schlammarbeiten, Gummistiefel, Gummi-Handschuhe,  Baustelleneimer und, wenn vorhanden, Schaufeln sowie Schubkarren. Wichtig: Eine Anreise ist nach Angaben des Kirchenkreises Koblenz nur über die Autobahnabfahrt Bad Neuenahr möglich. Dort in Richtung Bad Neuenahr fahren und im Ort, möglichst nur in nicht betroffenen Straßen (ersichtlich an Müllbergen) parken und zu Fuß zur Kirche kommen – „eher zu früh parken als zu spät abstellen“. Getränke und Verpflegung erfolgt vor Ort und ist sichergestellt. In der Kirche wurden viele Gottesdienste zur Eröffnung der rheinischen Landessynode gefeiert.

Das Wasser stand in der Martin-Luther-Kirche in Bad Neuenahr bis zur Platte des Altars. (Foto: Andrea Stenzel)

Gemeindehaus und Kirche im Kirchenkreis An der Agger beschädigt

„Im Norden des Kirchenkreises An der Agger in der evangelischen Kirchengemeinde Wipperfürth ist das evangelische Gemeindehaus bis zu einer Höhe von 1,40 Metern vollgelaufen“, berichtet Judith Thies, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des Kirchenkreises An der Agger. Die gesamte untere Etage sei förmlich weggespült worden. Ein Anbau der Kirche am Markt der Hansestadt ist laut Thies ebenfalls stark betroffen. „Hier sind Küchen, Toilettenanlagen, Möbel, Musikinstrumente, technische Anlagen zerstört.“ Auch am Wochenende sei ein Team von Helfenden rund um Pfarrerin Stefanie Eschbach und Martina Schulz aus dem Gemeindebüro im Einsatz gewesen. „Nach ersten Schätzungen beläuft sich der Schaden auf mehr als 100.000 Euro.“ Zum Teil hat die Gemeinde immer noch keinen Strom, das Gemeindebüro ist nicht benutzbar. Der Kirchenkreis An der Agger sei mit seinen Talsperren und vielen Flüssen besonders wasserreich. „An mehreren Orten strömten die Fluten durch Gärten und Keller. In Engelskirchen ist ein historisches Ärztehaus halb abgebrochen, zwei Brücken wurden zerstört.“

Ein Großteil der Einrichtung des Gemeindehauses der evangelischen Kirchengemeinde Wipperfürth ist zerstört. (Foto: Stefanie Eschbach)

Pfarrer Bach berichtet von dramatischer Situation in Bad Neuenahr

„In der Tat ist die Situation vor Ort sehr schwierig, neben sehr vielen Menschen, die ihre Wohnung und ihre Bleibe verloren haben, gibt es so viele – auch Gemeindeglieder, die vom hereinbrechenden Wasser so überrascht wurden, dass sie nicht mehr ihrer Kellerwohnung entkommen sind. Noch sind längst nicht alle Keller und Tiefgaragen abgepumpt, so dass weiterhin noch Tote geborgen werden“, berichtet Friedemann Bach, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Neuenahr, am Sonntag von der dramatischen Situation in Bad Neuenahr. Auch die Kirchengemeinde sei strukturell schwer vom Hochwasser getroffen, wie Bach an ein paar Beispielen verdeutlicht: „Die größere Martin-Luther-Kirche direkt an der Ahr gelegen hat über einen Meter unter Wasser gestanden, das bedeutet, die Sakristei, die Kellerräume mit WC und Heizung und Materialraum stehen immer noch teilweise im Wasser oder Schlick, das gesamte Kirchengestühl, aber auch ein sehr guter Flügel, Holzinstrumente und eine Truhenorgel sowie alle über 200 Gesangbücher sind nicht mehr verwendbar.“

Und weiter: „Das Gemeindeamt ist so verwüstet, dass die gesamte Technik von PCs, Druckern, Server, ja auch das komplette Archiv vernichtet sind. Ebenso der Kopierraum der Kirchengemeinde mit Material für Taufen, Trauungen, Beerdigungen und Geburtstage samt Bibeln steht im Wasser beziehungsweise Schlick.“ Im Gemeindehaus, das vor einigen Jahren für mehr als eine Millionen Euro restauriert worden sei, sei das komplette Untergeschoss mit Werkstatt, Jugendräumen, Materiallager, einer neuen Heizung und Umluftanlage zerstört. „Der Hof ist noch voller Schlick, obwohl schon einiges aus den Räumen entfernt wurde, in denen Zwischenwände und Deckenverkleidungen einstürzten, Fußböden in der Kirche und im Gemeindehaus aufbrachen“, berichtet Pfarrer Bach.

Im Mehrgenerationenhaus sind laut Bach alle Gruppenräume des sechsgruppigen Kindergartens durch das Hochwasser geflutet worden. „Zu allem Verdruss ist auch unser Sozialprojekt ‚Kerit‘ sehr betroffen, die komplette Etage mit Wohnzimmer, Küche, Versammlungsraum und Büro wurden zerstört. Im Juni erst hatten wir begonnen das Projekt zu erweitern, indem wir Kleiderspenden sammelten, die zu einem kleinen Preis im Keritladen verkauft werden sollten.“ Sowohl die noch zu sortierenden Spenden, aber auch Winterbekleidung und der gesamte Laden seien der Jahrhundertflut zum Opfer gefallen. „Gott sei Dank haben Mitarbeitende und auch Bewohnerinnen sowie Bewohner im Kerit die Flutkatastrophe überlebt. Aber in den ersten Stunden ist der Mitarbeiterschaft mehr als zum Weinen gewesen. Einige waren nicht nur ungläubig angesichts dieser massiven Schäden, sondern können sich noch gar nicht vorstellen, wo es wie weitergehen soll.“

Mittlerweile werde versucht, den Schlick zu entfernen und aufzuräumen. „Dankbar sind wir über Hilfsangebote vor Ort, die uns ermutigen doch noch eine Zukunft für die bisher florierende Kinder- und Jugendarbeit mit reichhaltigen Musikangeboten, Arbeit mit und für Senioren und das diakonische Engagement zu sehen. Uns bisher unbekannte Menschen stehen uns bei und auch Gemeindeglieder fassen mit an“, sagt Pfarrer Bach.

„… und Ihnen viel Kraft“: Präses Latzel berichtet aus der überfluteten Gemeinde Trier-Ehrang, wo er mit Notfallseelsorgerin Vanessa Kluge unterwegs war

„Heute war ich mit Pfarrerin Maren Vanessa Kluge, einer unserer Notfall-Seelsorger-/innen, unterwegs in der Gemeide Trier-Ehrang. Der Ort ist noch von der Polizei abgeschirmt, nur Helfer-/innen und Anwohner-/innen kommen hinein. Zwei Stunden lang sind wir mit dem Bollerwagen durch die Straßen gezogen – voller Kaffee-Kannen, Wasserflaschen, belegter Brötchen, Bananen und Schoko-Keksen. Nervennahrung für die Menschen, die dort den Schutt beseitigen, nachdem das Wasser zurückgegangen ist. In den letzten Tagen stand es hoch bis in den ersten Stock. An den Wänden sieht man die Schmutzrinne. Geht man durch die Straßen, so liegt da das ganze Leben von Menschen. Ausgekippt auf die Straße. Zu Müll geworden durch den Schlamm. Die Menschen sind noch in der ersten Krisen-Reaktionsphase – irgendwo zwischen Schock, Anpacken, das Gröbste beseitigen. Das alles wirkt völlig surreal, weil jetzt – bei schönen Wetter – überall Menschen draußen sind, reden, arbeiten. Fast als hätten sich alle zu einem kollektiven Sperrmüll verabredet. Nur, dass es nichts zu feiern gibt. Außer die große Hilfsbereitschaft. Überall stehen Feuerwehr, Hilfskräfte, Malteser, schweres Räumgerät. Und eben unser kleiner Bollerwagen. Vanessa Kluge erklärt mir, wie es hier gestern, vorgestern ausgesehen hat. Zwischenzeitlich bieten wir unsere Ladung allen an, die uns auf dem Weg begegnen. Einsatzkräften, die seit Tagen gearbeitet haben, mir nur wenig Schlaf. Bewohner-/innen, die von einem Berg von Müll vor ihrem Haus stehen. Waschmaschinen voller Schlamm. Hanteln lassen sich abspritzen. Matratzen sind so voll, dass sie sich kaum heben lassen. Ein Mann ist froh, dass es wenigstens auch den alten Weihnachtsschmuck erwischt hat. Konnte er eh nie leiden. Jetzt gibt es neuen.

Der Kaffee geht schnell weg, ebenso die Bananen und Kekse. Mich beeindruckt die offene Herzlichkeit meiner Kollegin. Sie verschenkt das Essen, als würde sie dafür bezahlt. Lächelt, scherzt, bringt Menschen dazu, nicht zu verzweifeln. Und immer wieder der Satz: ,… und Ihnen viel Kraft.‘ Ihre Form des Segens. Vielleicht eine Form der Gegenwart Gottes in der Situation: Brötchen und der Wunsch ,viel Kraft‘. Eine Anwohnerin: ,Geweint habe ich nicht bei der Flut. Erst, als ich die Hilfsbereitschaft der Menschen spürte.‘

Zu anderen Dörfern im Gebiet von Pfarrerin Maren Vanessa Kluge gibt es noch keinen Kontakt. Und auch in Ehrang beginnt die Trauerarbeit noch, wenn der Schock sich gelegt hat und die Menschen den ganzen Schaden langsam realisieren werden. Ich bin froh, dass wir als Kirche hier ökumenisch mit unserer Notfall-Seelsorge vor Ort sind. Gott segne alle, die sich hier engagieren, und alle Menschen, denen sie begegnen.“

Notfallseelsorgerin und Pfarrerin Maren Vanessa Kluge mit Präses Dr. Thorsten Latzel. (Foto: Dr. Thorsten Latzel)

Präses Latzel telefoniert mit Pfarrerinnen und Pfarrern in den von der Flutkatastrophe betroffenen Gemeinden

„Ich habe eben mit verschiedenen Gemeinden in den Überschwemmungsgebieten telefoniert. Das sind wirklich erschütternde Erfahrungen, welche die Kolleg-/innen schildern. Autos, die in Einsturzkratern liegen und bei denen niemand weiß, ob dort nicht noch Menschen drin sind. Tote Pferde, die im Wasser schwimmen. Strom und Telefon sind an vielen Stellen noch abgerissen, so dass man gar nicht genau weiß, wie es den einzelnen Menschen geht. Andere Gemeinden hatten ,nur‘ Wasser in den Häusern und Gebäuden – merken aber, wie mitunter jahrerlange Renovierungsarbeiten mit einem Mal zerstört sind. An den intensiv betroffen Orten findet noch erste Krisen-Intervention statt. Was dies für seelsorgliche Verarbeitung bedeutet, ist noch kaum abzusehen. Richtig berührend ein Gespräch mit einem Kollegen in einer weniger betroffenen Gemeinde: ,Wir trommeln gerade Ehrenamtliche zusammen, um anderen zu helfen.‘ Viele unserer Pfarrer-/innen leisten gerade Außerordentliches in der Vernetzung von Menschen, in der Stärkung von Betroffenen. Gott stärke und stütze sie. Wir sind im Gebet und in Gedanken bei ihnen!“

Die Wassergewalten der Urft haben die Gemünder Kirche stark beschädigt. (Foto: Oliver Joswig)

Zwei von drei Kirchen in Eifelgemeinde stark beschädigt

„In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli sind große Teile unseres Gemeindegebietes durch die Wassermassen von Urft und Olef – aber auch der vielen übrigen Nebenflüsse (eigentlich Bächlein) – im Wasser untergegangen beziehungsweise schlicht zerstört worden“, berichtet Oliver Joswig, Pfarrer der Evangelische Trinitatis-Kirchengemeinde Schleidener Tal. Und weiter: „In unserer Eifelgemeinde sind zwei Kirchen durch die Wassergewalten von Urft (Gemünd) und Olef (Schleiden) völlig unbrauchbar gemacht worden. In der dritten Kirche (Hellenthal) können wir am Sonntag Gottesdienst feiern, da sich hier eine Schäden in einem schnell behebbaren Rahmen befinden.“ Dieser Gottesdienst am Sonntag, 18. Juli, stehe ganz unter dem Zeichen der Flutkatastrophe – und ist auch auf dem gemeindeeigenen YouTube-Kanal   live zu sehen. Los geht es um 9.30 Uhr.

Gemeinden im Rhein-Erft-Kreis öffnen ihre Häuser

Die Hochwasser-Katastrophe hat auch Gebiete im Rhein-Erft-Kreis, in Köln und im weiteren Umland getroffen. Wie Markus Zimmermann, stellvertretender Stadtsuperintendent des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, berichtet, haben Gemeinden im südlichen Rhein-Erft-Kreis ihre Gemeindehäuser geöffnet und bieten Hilfe an. In Bergheim habe die evangelische Kirchengemeinde eine 50-köpfige Jugendgruppe aufgenommen.

„Die besonders betroffenen Kirchengemeinden berichten von einer großen Hilfsbereitschaft“, sagt Pfarrer Michael Miehe. Er vertritt während der Urlaubszeit den Superintendenten des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd. „Die Menschen unterstützen einander nach Kräften, müssen aber auf der anderen Seite wachsam die Entwicklung der Situation verfolgen, die sich derzeit an einigen Stellen noch zuspitzt.“

Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger wollen Kolleginnen und Kollegen entlasten

21 Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger aus dem Lahn-Dill-Kreis haben sich auf die Anfrage von Pfarrer Eberhard Hoppe, Leiter der Notfallseelsorge Lahn-Dill,  für mögliche Einsätze gemeldet. Dies geschah auch auf den Aufruf der Landespfarrerin der rheinischen Kirche, Bianca van der Heyden, hin. Es geht darum, die erschöpften Seelsorge-Teams in den Unwettergebieten austauschen und ihnen Ruhe gönnen zu können.

Die Unwetter-Katastrophe hat Gruiten stark getroffen. Foto: Hanno Nell

Historisches Pfarrhaus in Gruiten mit Schlamm geflutet

In Haan-Gruiten hat es den historischen Ortskern schwer getroffen. Das Pfarrhaus von 1764 und die kleine Kirche sind überflutet worden. Der Schlamm war in das Pfarrhaus gespült worden, in dem Pfarrer Hanno Nell mit seiner Frau und ihren fünf Kindern wohnt. Neben dem Erdgeschoss sei auch der Garten betroffen gewesen, berichtete die Familie der „Rheinischen Post“ . Nach einer Bestandsaufnahme sei es jedoch schnell ans Aufräumen gegangen. Dazu habe auch die Rettung eines großen Fisches gehört, der in den Garten gespült worden sei und nach dem Abklingen des Hochwassers wieder in die Düssel gesetzt worden sei. Bei der Beseitigung von Schlamm und Wasser seien dann die Evangelische Jugend vor Ort sowie Freiwillige zur Hilfe geeilt.

Düsseldorfer Gemeinden glimpflich davongekommen

Nahezu glimpflich davongekommen sind die Kirchengemeinden in Düsseldorf angesichts des Ausmaßes der Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit vielen Toten und einer unfassbaren Zerstörung. Das teilt die Evangelische Pressestelle Düsseldorf kurz nach dem Eintreten des Hochwassers mit. Bislang gibt es demnach Schadensmeldungen aus Eller, Düsseltal, Mörsenbroich und Garath. In Eller stand der Keller der Schlosskirche unter Wasser. Bis Donnerstagvormittag hat der Hausmeister der Kirche den Keller leergepumpt, berichtet Pfarrer Kornelius Heering. Größere Schäden seien aber nicht entstanden. In Düsseltal hat es in der Kapelle der Matthäikirche und anderen Kellerräumen einen Wassereinbruch gegeben, berichtet Pfarrer Lars Schütt von der Evangelischen Emmaus-Kirchengemeinde. In zwei bis drei Räumen müsse vermutlich der Boden ausgetauscht werden. In der Thomaskirche auf der Eugen-Richter-Straße in Mörsenbroich drang ins Souterrain Wasser ein. Die Räumlichkeiten werden von der Diakonie (Zentrum Plus) und der Jugendeinrichtung der Gemeinde benutzt. Der Schaden wird eher als gering bewertet. „Hier müssen wohl nach einer ersten Einschätzung lediglich ein paar Teppiche ausgetauscht werden“, sagt Schütt. In Garath war die Kindertagesstätte an der Julius-Raschdorff-Straße (neben der Dietrich-Bonhoeffer-Kirche), die von der Diakonie Düsseldorf betrieben wird, von der Unwetterkatastrophe betroffen. Durch die Toiletten drang Wasser in die Räumlichkeiten der KiTa ein. Einen größeren Schaden konnte durch Wolfgang Paniczek vom Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Garath und einem hingezogenen Dachdecker verhindert werden. Auf dem Dach standen ungefähr 4000 Liter Wasser, dass nicht abfließen konnte. „Nachdem die Abläufe gereinigt wurden, konnte das Wasser wieder ablaufen. Deshalb dürfte hier kein Regenwasser mehr durch die Decke eindringen“, berichtet Paniczek. Wie groß der Schaden insgesamt ist, wird durch beauftragte Fachfirmen ermittelt. Die Böden der Einrichtung müssen wohl nicht ausgetauscht werden, sondern können durch eine Sanierungsfirma getrocknet werden. In Gerresheim wurde die Kirche mit ihren Einrichtungen nicht vom Unwetter getroffen. „Wir wissen aber von Gemeindemitgliedern, die Schäden durch eindringendes Wasser zu beklagen haben“, teilte Pfarrerin Dr. Karin Oehlmann mit. „Gegenseitig greifen sich die Mitglieder der Gemeinde unter die Arme.“ Die Gerresheimer Gemeinde hat an der Kirche eine Fürbittenwand eingerichtet „um einen Ort des Gebets zu schaffen“. Der Helferaufruf der Stadt Düsseldorf wurde über diverse Kanäle weitergeleitet.

Keller in Hilden vollgelaufen

In der Erlöserkirche in Hilden hat das Wasser nach dem Unwetter im Keller glücklicherweise nur zwei bis drei Zentimeter hoch gestanden. Küsterin Tanja Herriger, Pfarrerin Sonja Schüller, Kantorin Dorothea Haverkamp und Heidi Thöring von der Nachbarschaftshilfe der Diakonie haben die gröbsten Schäden bis Freitag, 16. Juli, behoben und Schlimmeres verhindert. Dabei geholfen haben ihnen diverse Gemeindemitglieder. Mittlerweile ist das Wasser entfernt und die Trocknung läuft bereits.

Team der Notfallseelsorge Solingen im Einsatz

„Es war gegen 22.30 Uhr am Mittwochabend, als Einsatzkräfte begannen, den Solinger Stadtteil Unterburg zu evakuieren“, berichtete Thomas Förster, Pressesprecher des Evangelischen Kirchenkreises Solingen am Donnerstag, 15. Juli. Weil Wupper und ein Nebenfluss sich immer reißender in den idyllischen Stadtteil ergossen, habe der Krisenstab beschlossen, Bewohnerinnen und Bewohner des überfluteten Stadtteils in eine höhergelegene Grundschule zu bringen. Im Rahmen des Einsatzplans löste die Einsatzleitung der Feuerwehr demnach auch Alarm für die Notfallseelsorge aus, die in Solingen vor allem von der Evangelischen Kirche getragen wird, wie der Kirchenkreis in einer Pressemitteilung erläutert. Zwei Pfarrer, eine Pfarrerin, ein ehrenamtlicher Seelsorger und eine ehrenamtliche Seelsorgerin blieben demnach bis zum frühen Donnerstagmorgen in der Grundschule sowie in der provisorisch durch das Deutsche Rote Kreuz mit Feldbetten ausgestatteten Schulturnhalle. „Wir gingen von Raum zu Raum und boten den Menschen, die im Laufe des späten Abends und der Nacht zur Sammelstelle gebracht wurden, Gespräche an, um die Situation zu verarbeiten“, erklärt Pfarrer Klaus Hammes, der im Evangelischen Kirchenkreis Solingen auch Vorsitzender des Beirats für die Notfallseelsorge ist. Peter Binz war als ehrenamtlicher Notfallseelsorger vor Ort: „Wir hatten viele gute Gespräche.“ Auch Renate Tomalik war gegen Mitternacht nachalarmiert worden und bis gegen 5 Uhr als Notfallseelsorgerin aktiv. „Ich habe alle möglichen Reaktionen erlebt“, berichtet die Klinikpfarrerin, „einige waren völlig cool. Andere begegneten mir tief verzweifelt, manche haderten mit Gott.“ Auch Magda Becker war als Ehrenamtliche in der Sporthalle vor Ort. Ein sechster Notfallseelsorger suchte in der Hauptfeuerwache das Gespräch mit Einsatzkräften, die besonders belastende Situationen erfahren hatten. Um 12 Uhr am Donnerstag konnte auch die letzte Person mit ihrem Hund die Turnhalle der Grundschule verlassen. Nachdem die Pegelstände in Unterburg im Laufe des Tages kräftig gefallen waren, durften gegen Mittag laut dem Kirchenkreis Solingen die ersten Unterburger in ihre Häuser zurückkehren. Auch hier kümmerten sich eine Notfallseelsorgerin und ein Notfallseelsorger vor Ort. Der Solinger Krisenstab hatte sie gebeten, Menschen ein Gesprächsangebot zu machen, die nach ihrer Rückkehr verarbeiten mussten, welche Schäden das Hochwasser an ihrem Zuhause angerichtet hatte. Bis zum späten Nachmittag waren sie in ihren violetten Warnwesten mit dem gut lesbaren Schriftzug „Seelsorge“ im Stadtteil unterwegs.

Kirche in Solingen-Unterburg von Fluten der Wupper erwischt

Von den erschreckenden Ausmaßen des Hochwassers der vergangenen Tage blieben auch die Kirchengemeinden im Kirchenkreis Lennep nicht verschont . Wie der Kirchenkreis mitteilt, wurde die Kirche Unterburg im Solinger Stadtteil Unterburg und der angrenzende historische Friedhof von den Fluten der Wupper in Mitleidenschaft gezogen. Das denkmalgeschützte Kirchengebäude am Ufer der Wupper aus Bruchstein im bergischen Barockstil war demnach von den Wassermassen schnell umschlossen. Auch der benachbarte historische Friedhof aus dem Jahr 1744 sei alsbald von den braunen Fluten bedeckt gewesen. „Sobald das Wasser abgeflossen ist, werden wir die Schäden, die das Hochwasser an unserer Kirche, auf dem Friedhof und im angrenzenden Gemeindehaus angerichtet hat, sichten“, sagte die für Burg zuständige Pfarrerin Almuth Conrad  aus der Kirchengemeinde Wermelskirchen .

Bildungseinrichtung im Kirchenkreis Bad Godesberg-Voreifel beschädigt

„In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ist während des Unwetters, die Evangelische Jugendbildungstätte Merzbach unseres Kirchenkreises in Mitleidenschaft gezogen worden“, berichtet Rainer Steinbrecher vom Kinder- und Jugendreferat des Kirchenkreises Bad Godesberg-Voreifel. Vom angrenzendem Hang sei das Wasser rasend schnell über den Innenhof und dann in den Keller des Haupthauses gelaufen. „Mit Bierzeltbänken und Tischen wurde versucht, das Wasser vom Kellerschacht wegzuleiten, um zu erreichen, dass der Wasserpegel im Keller nicht mehr steigt und somit das Erdgeschoss nicht auch noch in Mitleidenschaft gezogen wird“, schildert Steinbrecher. Nach einer Stunde bangen, sei dann doch der Pegel im Keller wieder gesunken. „Während des Donnerstags begann schon das Aufräumen, da das Wasser sich zügig wieder zurückgezogen hatte. Doch der gesamte Keller inklusive aller technischen Geräte sind  betroffen und wir wissen aktuell nicht, wie hoch der Schaden sein wird.“ Ein Lichtblick seien die  Mitarbeitenden, die es sich trotz teils eigener Schäden nicht haben nehmen lassen zu kommen und bei den Arbeiten zu helfen. „Und plötzlich tauchten auch Kolleginnen auf, die sofort mit anfassten und Ihre Kontakte in die Gemeinde nutzten, um Aggregate, Pumpen und Helfende Menschen zu organisieren“, ist Steinbrecher dankbar für diese kleinen mutmachenden Geschichten in all dieser Not.
Die Bildungseinrichtung des Kirchenkreises Bad Godesberg ist ordentlich in Mitleidenschaft gezogen worden. (Foto: Rainer Steinbrecher)

Leverkusen: Kirche, Kindergarten und Gemeindehaus unter Wasser

„Uns hat es ordentlich erwischt“, sagt Dr. Anika Distelrath-Lübeck, Baukirchmeisterin der Kirchengemeinde Opladen in Leverkusen-Opladen. So stehe die Kirche am Bielert bis zu den Altarstufen mit Wasser und Schlamm voll. „Ich war heute morgen selbst vor Ort und stand bis über den Bauchnabel im Wasser“, schildert sie die Situation. Betroffen seien auch das Gemeindehaus nebenan, wo der Keller unter Wasser steht. „Unser Kindergarten ist ebenfalls vollgelaufen, genauso wie das Verwaltungsgebäude.“ Als es am Mittwochnachmittag begonnen habe zu regnen, seien die Kindergartenkinder evakuiert worden. „Mein Kind geht dort zur Kita, wir haben es gerade noch rechtzeitig nach Hause geschafft“, sagt sie. Personenschäden habe es glücklicherweise nicht gegeben. Langsam aber sicher sinke der Pegel. „Ich hoffe, dass kein Regen mehr dazu kommt“, sagt Distelrath-Lübeck.

Die Kirche am Bielert der Kirchengemeinde Opladen in Leverkusen-Opladen ist mit Wasser vollgelaufen. (Foto: Dr. Anika Distelrath-Lübeck)

Köln: Wasser in Kellern und im Jugendhaus

„In der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Bickendorf war Wasser im Keller“, berichtet Sammy Wintersohl, Pressesprecher des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region. Einblicke liefert eine Instagram-Story von Pfarrer Nico Ballmann von der Kirchengemeinde Bickendorf. Ebenfalls im Kirchenkreis Köln-Nord sei das Wasser laut Wintersohl auch in Pulheim in den Keller des Jugendhauses eingedrungen. „Auf der Baustelle der Gemeinde in Sinnersdorf stand ebenfalls einiges unter Wasser, dort wird neben der Kirche ein Wohnhaus gebaut.“ In einigen Kitas in Köln und Region, die von evangelischen Trägern betrieben werden, habe es auch Wasser im Keller gegeben, so zum Beispiel in Köln-Bickendorf, Köln-Ehrenfeld, Köln-Nippes und Köln-Lindweiler.

Der Jugendkeller der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Pulheim ist ebenfalls mit Wasser vollgelaufen. (Foto: Kirchenkreis Köln)

Nachbarschaftshilfe statt Quizabend

In der Kirchengemeinde Köln-Pesch ist am Mittwochabend aus einem Quizabend kurzerhand eine Nachbarschaftshilfe entstanden, wie die Beteiligten auf der Gemeindewebsite berichten . „Zum Glück blieb bei uns alles trocken, doch dann erreichte uns die erste Bitte um Unterstützung aus der Nachbarschaft“, schreiben sie. Schnell hätten sie alle Eimer und Plastikwannen zusammengesucht und sich durch das Wasser auf der Straße in die Nachbarschaftshäuser aufgemacht. Einer der Quizzer organisierte von Zuhause sogar noch einen Wassersauger. „In mehreren Haushalten haben wir helfen können, die Wassermassen abzutransportieren“, schreiben sie zu ihrer „Nächstenliebe mit nassen Füßen“. Ein kurzes Video gibt einen Einblick in die Erlebnisse der Quizzer.

Wuppertaler Gemeinde sichert Gemeindehaus mit Sandsäcken gegen Hochwasser

„Unsere Gemeinde liegt in Wuppertal auf der Höhe“, berichtet Pfarrer Holger Pyka von der Kirchengemeinde Uellendahl-Ostersbaum . Als gestern Abend der Starkregen losgegangen sei, habe die Gemeinde zugesehen, das Gemeindehaus so schnell wie möglich mit Sandsäcken in Sicherheit zu bringen. „Wir haben ja schon die heftigen Unwetter 2018 miterlebt und waren entsprechend vorgewarnt, haben infolgedessen beispielsweise auch Rückstauventile nachgerüstet.“ Deshalb sei der Abend relativ ruhig gewesen. „Es war lange nicht so heftig wie 2018, die Gullideckel gingen zwar hoch, aber nicht meterhoch“. Er weiß aber auch, dass dies in der Wuppertaler Innenstadt ganz anders aussieht, berichtete er am 15. Juli. „Das war schon eine gespenstische Stimmung heute Nacht. Das erste Mal in meinem Leben habe ich die Sirenen so richtig gehört, nicht nur als Übung. Die Menschen in der Talachse wurden aufgerufen, das Erdgeschoss zu verlassen und nicht in die Keller zu gehen“, schildert er seine Eindrücke. Wenn man dann von Verletzten höre, seien das schon beängstigende Gefühle. Zudem gebe es nach wie vor einige Stromausfälle. Die Gemeinde habe dann auch sofort das Gemeindehaus als Notunterkunft für THW und Feuerwehr angeboten. „Die städtischen Turnhallen haben aber dann doch ausgereicht.“ Er habe aber mitbekommen, dass auch viele andere Kirchengemeinden schnell Hilfe nach dem Hochwasser angeboten hätten. „Wir schauen jetzt mal noch in Ruhe, ob im Gemeindehaus doch noch irgendwo Schäden sind. Und hoffen und beten, dass nicht noch etwas nach kommt und es keine weiteren Verletzen oder gar Toten gibt“, sagt Pfarrer Pyka. Selbst glücklicherweise nur wenig betroffen ist die Kirchengemeinde Langerfeld in Wuppertal, wie Pfarrerin Katharina Pött berichtet. „Unser Stadtteil liegt auch etwas höher. Ich habe meine Kontaktdaten aber bei der Feuerwehr hinterlegt, um das Gemeindehaus bei Bedarf zur Verfügung zu stellen.“ Zudem stehe das Gemeindehaus aktuell offen, da einige Straßen im Stadtteil keinen Strom hätten. „Wir bieten Kaffee und Strom, etwa für das Handy, an. Bisher ist der Bedarf aber noch gering.“

Die Kirchengemeinde Uellendahl-Ostersbaum hat ihr Gemeindehaus mit Sandsäcken gesichert. (Foto: Holger Pyka)